https://piraten-witten.de/unwuerdige-situation-in-staedtischer-wohnungslosenunterkunft-muss-ein-ende-haben/
Die Piratenfraktion will mit einer Anfrage die Situation der wohnungslosen Menschen in Witten verbessern. Die Fraktion bearbeitet das Thema bereits seit mehreren Monaten, nachdem wir von
Bewohnern der Unterkunft Am Mühlengraben 8-10 auf die schlechten Lebensbedingungen dort aufmerksam gemacht wurden.
Ein Zimmer in der Unterkunft
Wir haben uns selbst ein Bild von der
Situation vor Ort gemacht und viel Recherche betrieben. Wir mussten leider feststellen, dass die Erzählungen der Bewohner zutrafen: Fehlende Türen zu den Zimmern der Bewohner, defekte sanitäre
Anlagen, fehlende Schränke und kaum Betreuung.
Ratsmitglied Stefan Borggraefe: „Auch diese
Menschen haben ein Recht auf ein Leben in Würde. Es ist inakzeptabel, wenn sie als Bodensatz der Gesellschaft bezeichnet und
aufgegeben werden!“
Uns ist selbstverständlich bekannt, dass das Sozialamt derzeit völlig überlastet ist. Dennoch müssen bestehende Probleme benannt werden, um überhaupt die Chance auf eine Lösung zu erhalten. Weiterhin
sind diese Probleme nicht neu. Bereits am 12. Mai 2010, lange vor der starken Belastung der Verwaltung durch hohe Flüchtlingszahlen, war der schlechte Zustand von Am Mühlengraben 8-10
Thema im Sozialausschuss.
Das gleiche Zimmer nach ehrenamtlichem Einsatz von steffi-hilft.org
Die gute Nachricht für die Verwaltung
ist: In Witten gibt es viele tolle engagierte Bürger, beispielsweise von steffi-hilft.org und Unsichtbar
e.V., die mit anpacken wollen! Die
Stadt muss nach Meinung der Piratenfraktion auch bei den Wohnungslosenunterkünften offen für ehrenamtliche Unterstützung sein und diese fördern. Daher fragen wir auch nach einem Ansprechpartner
für diese Bürger in der Verwaltung.
Völlig falsch sind Meinungsäußerungen, die Flüchtlingshilfe und Hilfe für andere bedürftige Menschen gegeneinander ausspielen wollen. Das eine schließt das andere nicht aus. Beides ist wichtig und
lobenswert. Jedem steht es frei, sich dort zu engagieren, wo es ihm am wichtigsten ist. Wir brauchen allgemein mehr davon!
Im folgenden der komplette Text unserer Anfrage:
Sehr geehrte Frau Leidemann,
durch Kontakt mit Wittener Wohnungslosen in den letzten Monaten ergeben sich für unsere Fraktion die folgenden Fragen:
1.1 Wie viele Wohnungslose leben derzeit in Witten?
1.2 Wie viele davon in städtischen Wohngebäude für die Unterbringung wohnungsloser Personen?
1.3 Leben alle diese Personen in den Häusern Am Mühlengraben 8-10 oder gibt es auch noch weitere Gebäude, in denen die Stadt Wohnungslose untergebracht hat?
Bereits in der Sitzung des Sozialausschusses am 12. Mai 2010 wurde die schlechte Wärmeschutzisolierung der Häuser Am Mühlengraben 8-10 thematisiert. Damals berichtete die Verwaltung: „Größere
Investitionen werden allerdings nicht mehr getätigt, da nach der Überplanung des gesamten Bereichs voraussichtlich nach 2011 eine Wohnbebauung dort nicht mehr vorgesehen sein wird.“ Die Häuser stehen
auch im Jahr 2016 noch und die Wärmeschutzisolierung ist nach wie vor schlecht.
2.1 Welche Planung gibt es derzeit für die Häuser? Für welchen Zeitraum ist eine Sanierung der Häuser Am Mühlengraben 8-10 geplant?
2.2 Falls eine Sanierung geplant ist: Werden die derzeitigen Bewohner die Häuser in dieser Zeit verlassen müssen und wird es in diesem Fall Ausweichplätze für Wohnungslose in anderen Gebäuden geben?
2.3 Falls eine Sanierung geplant ist: Wird sich die Art der Nutzung der Häuser nach der Sanierung ändern?
2.4 Ein Besuch der Häuser ergab, dass derzeit mehrere Türen zu den Zimmern der dort lebenden Menschen fehlen. Ist geplant, diese fehlenden Türen zu ersetzen? Falls ja: Für wann ist dies geplant?
2.5 Ein Besuch der Häuser ergab, dass derzeit eine Toilette im Erdgeschoss des Haus 8 herausgerissen ist und der Bewohner nun regelmäßig seine Notdurft in den Hausflur und vor den Türen anderer
Bewohner verrichtet. Ist geplant, diesen Mangel zu reparieren? Falls ja: Für wann ist dies geplant?
2.6 Ein Besuch der Häuser ergab, dass mehrere Bewohner keinen Schrank zur Unterbringung ihrer Kleidung und anderer Gegenstände zur Verfügung haben. Welche Möbel stellt die Stadt für die Bewohner zur
Verfügung? Wie ist der normale Arbeitsablauf, wenn Möbel verschwinden oder kaputt sind? Wie erfährt die Stadt normalerweise davon, wenn Möbel fehlen? Wer ist der Ansprechpartner für die Bewohner
und/oder ehrenamtliche Helfer?
Die Stadt Witten hat laut Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vom 18.04.2013 vertraglich vereinbart, dass ein besonders qualifizierter Mitarbeiter des Caritas-Verbandes Witten die in den städtischen Unterkünften untergebrachten Personen
betreut. Bei der Betreuung sollen insbesondere folgende Schwerpunkte geleistet werden:
-
Strukturierung des Tagesablaufs und Vorbereitung auf ein zukünftig (wieder) selbständiges Leben in einer eigenen Wohnung
-
Intensive Hilfestellung bei der Wohnungssuche
-
Unterstützung bei Behördengängen
-
Vermittlung in Krankenversorgung und Rehabilitation – ggf. auch Vermittlung in Heimeinrichtungen
3.1 Hat sich an der oben geschilderten vertraglichen Vereinbarung seit der Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen etwas geändert?
3.2 Wie viele Stunden pro Woche kann sich der Caritas-Mitarbeiter um die Wohnungslosen in den städtischen Unterkünften wie oben geschildert kümmern? In welchen zeitlichen Abständen findet diese
Betreuung statt?
3.3 Reicht die zur Verfügung stehende Arbeitszeit für eine Betreuung, mit der die oben angeführten Schwerpunkte bearbeitet werden können?
3.4 Ist die Stadt Witten interessiert an einer Unterstützung bei diesen Aufgaben durch ehrenamtlich arbeitende engagierte Bürger? Wer wäre der Ansprechpartner auf Seiten der Stadt für diese Bürger?
4. Welche Maßnahmen sind von Seiten der Stadt derzeit geplant, um die Situation in den städtischen Wohngebäuden für die Unterbringung wohnungsloser Personen in Witten zu verbessern?
Vielen Dank für die Beantwortung und viele Grüße,
Roland Löpke und Stefan Borggraefe
Fraktion PIRATEN
http://waz.m.derwesten.de/dw/staedte/witten/letzte-wittener-adresse-schmuddelloch-id11479012.html?service=mobile
19.01.2016 | 19:39 Uhr
SOZIALES
Letzte Wittener Adresse: Schmuddelloch
Von Kristina Gerstenmaier
Trist und marode: die Obdachlosenunterkunft der Stadt in Ruhrdeichnähe. Foto: Thomas Nitsche - Funke Foto Services
Die Toiletten verdreckt, kein warmes Wasser: Eine Wittener Obdachlosenunterkunft verkommt. Die Bewohner sind auf dem Wohnungsmarkt chancenlos.
Zwei Mitarbeiter bei der Stadt sind zuständig für die Unterbringung von Menschen in Notlagen. Das waren zum Jahresende: 1023 Flüchtlinge, aber auch 24 Obdachlose. Deren Unterkunft an der
Stadtgrenze zu Bommern befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Seit es so viele Flüchtlinge in Witten gebe, "sind die Wohnungslosen bei uns eher eine Randnotiz" so Mitarbeiter
Christoph Noelle.
Wer in dem Doppelhaus landet, das die Stadt als dauerhafte Obdachlosenunterkunft betreibt, hat vermutlich nicht mehr viele Perspektiven. Dem sichert die Bleibe lediglich das Dach über dem
Kopf. "Die, die wir zur Zeit dort haben, die bleiben wahrscheinlich bis zu ihrem Tod. Viele sind auf dem freien Wohnungsmarkt praktisch unvermittelbar", schätzt Christoph Noelle die Lage
ein.
Drogenabhängigkeit und psychische Auffälligkeiten
Viele seien aufgrund persönlicher Bürden, wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Krankheiten, psychischen Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten im Umgang mit Geld, praktisch nicht mehr
vermittelbar. "Das ist der Bodensatz der Gesellschaft", sagt er, "deren letzte Adresse bei uns ist".
Zur Zeit leben in den Häusern 24 Menschen auf zehn Wohnungen und wenige Einzelzimmer verteilt. ."Manche Leute urinieren in den Flur oder erleichtern sich sonstwie", erzählt Marco (44),
der seit Juli 2015 in der Unterkunft lebt. "Und es wird unheimlich viel geklaut. Ich habe keine Tür, die sich abschließen lässt." Andreas (38) landete hier vor drei Monaten, nachdem er
zuvor seinen Job und seine Wohnung verloren hatte: "Ich kann wegen denen über mir nicht schlafen. Da gibt's jede Nacht Türenknallen und Schreiereien."
Wie sich die WAZ vor Ort überzeugen konnte, sind die sanitären Einrichtungen komplett verdreckt, in den einzelnen Stockwerken gibt es kein warmes Wasser. Zwei Duschen stehen für alle Bewohner
zur Verfügung. Im Außenbereich liegt eine herausgerissene Toilette hinter dem Maschendrahtzaun, frische Blutstropfen säumen die Platten im Eingangsbereich.
Konzept der Unterkunft ist, dass die Menschen dort auf sich allein gestellt leben. Dafür müssen sie ihren Wohnraum selbstständig sauber halten, für ihre Verpflegung sorgen und vor allem
untereinander zurecht kommen. Alle paar Wochen schaut ein Sozialarbeiter vorbei. Michael Raddatz betreut seit 2007 die Bewohner der städtischen Unterkünfte. "Ich sehe mich als
Brückenbauer zu den Hilfseinrichtungen", sagt er. "Aber alles steht und fällt mit der Motivation der Bewohner." Der Stadt sind die Missstände in der Unterkunft bewusst. Aber vielen
Menschen, die in eine solche Lage gekommen seien, fielen die einfachsten Aufgaben schwer, oft käme es zu Streit.
"Man versucht natürlich, jedem gerecht zu werden", sagt Sozialarbeiter Raddatz. "Aber durch den Anstieg der Flüchtlinge ist das nicht mehr möglich." Das mache sich zunehmend auf dem
Wohnungsmarkt bemerkbar - es fehlt massiv an Wohnungen für sein Klientel.
Hilfe für die Ärmsten der Armen
Seit gut zwei Monaten gibt es in Witten eine Gruppe Ehrenamtlicher, die sich um die Obdachlosen kümmert. Unter anderem haben sie in der Unterkunft geputzt und Müll ententsorgt
Es ist Montagabend. Vor dem Hauptbahnhof sammelt sich gut ein halbes Dutzend Leute. Sie sind gekommen, um Menschen zu helfen, die sonst oft vergessen werden: den Obdachlosen. "Heute haben
wir vor, den Menschen in der Unterkunft unten an der Ruhr warme Suppe zu bringen", erzählt Stefanie Neto Mendoca, Mitinitiatorin der Wittener Gruppe.
Mit ihrer Initiative "Steffi-Hilft" kümmert sie sich seit Jahren um schutzbedürftige Tiere, seit einiger Zeit auch um Menschen. Im November hatte sie Kontakt zu dem Obdachlosen-Verein
"Unsichtbar" aufgenommen, einem Verein, der sich im gesamten Ennepe-Ruhr-Kreis um die Menschen am Rand der Gesellschaft kümmert. Daraufhin formierte sich eine Gruppe um die beiden
Initiativen. An jedem Montag trifft sie sich; unter anderem, um auf Stadtsparziergängen Obdachlosen Decken, warme Kleidung, Getränke oder Hundefutter zu bringen. "Wir treffen regelmäßig so
vier bis fünf Obdachlose, die wir versorgen", berichtet Lucas König, erster Vorsitzender von "Unsichtbar", der auch in anderen Städten mit dem Rucksack Runden dreht.
Schutzmasken und Gummihandschuhe
"Ist Not am Mann, sind wir da", ergänzt Stefanie Neto Mendoca. Über die montägliche Runde hinaus nahmen sich die Ehrenamtlichen seit einigen Wochen der dauerhaften Obdachlosenunterkunft
an der Ruhr an. Neto Mendoca und Melanie Ernst, eine weitere Helferin, hatten sich Schutzmasken und Gummihandschuhe aufgesetzt und in einigen Räumen in der Unterkunft radikal Müll
entsorgt und geputzt. Außerdem riefen sie über Facebook zu Möbel- , Kleider- und Bettwäschespenden auf. "Da herrschen teilweise unmenschliche Zustände", sagt Neto Mendoca. "Ein Bewohner
zum Beispiel schlief seit einem halben Jahr in der gleichen Bettwäsche. Schade, dass die Stadt sagt, nach mir die Sintflut."
Auch weitere Mitarbeiter des ennepe-ruhr-weiten Obdachlosen-Vereins "Unsichtbar" sind in der Stadt aktiv. "Wir fahren mit unserem Kältemobil durch alle Städte. Etwa zweimal pro Woche kommen
wir mit unserer mobilen Suppenküche auch nach Witten", berichtet Holger Brandenburg, zweiter Vorstand von Unsichtbar. "Diese Menschen, denen wir helfen, haben nichts mehr zu verlieren, Sie
sind die Ärmsten der Armen, aus ganz unterschiedlichen Gründen heraus. Manchmal sind sogar gescheiterte Akademiker dabei oder Menschen mit Burnout. Wenn man aber obdachlos wird, geht es nicht
mehr weiter nach unten ."
Für die Obdachlosenunterkunft haben die Ehrenamtlichen in den kommenden Wochen viel vor: Weitere Möbel, die Versorgung einer Schwangeren, Ersatz für eine kaputte Waschmaschine. Die Hilfe
kommt bereits an:"Anfangs war das eine Riesenkatastrophe hier, jetzt mit den neuen Möbeln und dem neuen Kühlschrank, den Steffi gebracht hat, ist es schon viel besser", sagt Bewohner
Marco, der seit einem halben Jahr hier lebt.